Freie Waldorfschule Trier

„Das Kind in Ehrfurcht aufnehmen, in Liebe erziehen und in Freiheit entlassen.“ Rudolf Steiner

Hauptunterricht

In einer Gemeinschaft, die von Beständigkeit und Rhythmus geprägt ist, können Kinder sich gesund entfalten. Um ihnen darin eine verlässliche Stütze zu sein, begleitet ein Waldorfklassenlehrer seine Klasse nach Möglichkeit acht Jahre lang durch den Hauptunterricht, der die ersten beiden Stunden eines Schulvormittags in Form von Epochenunterricht umfasst. Dabei lernt er seine Schüler sehr gut kennen und kann individuell auf ihre Stärken und Schwächen eingehen.

Altersgerecht vermitteln wir Wissen in Epochenunterricht. Die Schüler können sich drei bis vier Wochen lang intensiv mit einem Stoffgebiet auseinandersetzen z.B. Mathematik, Physik, Tierkunde, Geschichte oder Optik.

Wir vermitteln darüber hinaus auch Fähigkeiten im handwerklich-künstlerischen Gebiet. Ein Waldorfschüler lernt im Laufe der Schulzeit stricken, schnitzen, ein Buch zu binden und Vieles mehr.

Ein Lehrbuch selbst geschrieben

Im Hauptunterricht wird in den ersten Schuljahren lediglich eine Lektüre oder ein Lesebuch verwendet, keine Schulbücher. Stattdessen führen die Schüler ein Epochenheft, der festzuhaltende Unterrichtstoff geht so durch die Hand der Schüler und ist nichts Fremdes.

Von der ersten bis zur achten Klasse unterrichten Klassenlehrer ihre Klasse in den Fächern Lesen, Schreiben und Rechnen, Singen und Flöten, Heimatkunde, Deutsch und Geschichte, Malen und Zeichnen, Mathematik und Geometrie, Erdkunde, Biologie, Physik und Chemie.

Klassengemeinschaft

Dadurch, dass die Klassengemeinschaft während der gesamten Schulzeit erhalten bleibt, lernen sich die Schüler im Laufe der gemeinsamen Jahre immer intensiver kennen und erleben aneinander Veränderungen. Diese soziale Komponente ist uns wichtig. Wir differenzieren deswegen nicht zwischen Gymnasial- bis Hauptschulniveau. Wir wollen vielmehr die gegenseitige Hilfe fördern. Das kann zu dem Erlebnis führen, daß ein Schüler demjenigen, der ihm soeben eine Mathematikaufgabe erklärt hat, im Schreinern zeigen kann, wie der Stechbeitel anzusetzen ist.

Der Dreischritt im Lernprozess

Ein wichtiger methodischer Ansatz der Waldorfpädagogik ist der Hauptunterricht, der zu Beginn eines Schultages stattfindet. In den drei- bis vierwöchigen Hauptunterrichtsepochen, in denen sich die SchülerInnen konzentriert mit jeweils einem Fach als einer in sich geschlossenen Einheit aus-einandersetzen, werden Deutsch, Mathematik, Sach-, Tier-, Menschen-, Pflanzen- und Gesteinskunde sowie Physik, Chemie und Geschichte unterrichtet. Auch künstlerische Aktivitäten wie Zeichnen und Aquarell malen werden im Hauptunterricht gepflegt.

Der Verlauf des Hauptunterrichts gliedert sich in folgende Schritte: Nach dem Morgenspruch werden Sprechübungen, Rezitationen und musikalische Übungen durchgeführt, welche die SchülerInnen auf den anschließenden Arbeitsteil einstimmen; am Ende des Hauptunterrichts steht dann ein Erzählteil.  Dieser feststehende, rhythmisierte Unterrichtsablauf  fördert bei den SchülerInnen ein Gefühl von Zuverlässigkeit und Regelmäßigkeit, wodurch sie sich intensiver auf die Unterrichtsinhalte konzentrieren können.

Das intensive tägliche Eintauchen in die jeweiligen Unterrichtsinhalte wird unterstützt durch eine Dreigliederung des Lernprozesses (Dreischritt) unter Einbeziehung der Nacht. Während des Schlafes wird - wie vielfach von der Hirn- und Schlafforschung aufgezeigt - das im Unterricht Beobachtete und Aufgenommene konsolidiert, mit Bekanntem verknüpft und restrukturiert. Diese wesentliche Charakterisierung des Lernprozesses, auf den Rudolf Steiner im Jahre1921 hinwies, wird vom Lehrer im Epochenunterricht berücksichtigt.

So kann z.B. im naturwissenschaftlichen Unterricht der Mittel- und Oberstufe der Dreischritt  den folgenden Ablauf haben: Zunächst wird im Arbeitsteil des Unterrichts ein Experiment durchgeführt. Die Aufmerksamkeit der Schüler/-innen wird auf das zu Beobachtende gelenkt. In einem zweiten Schritt wird das Beobachtete geordnet, charakterisiert und auf offene Fragen eingegangen. Als Hausaufgabe erfolgt die exakte Darstellung des Versuchsablaufs und der Beobachtungen. Im dritten Schritt wird am nächsten Tag auf der Grundlage der Hausaufgaben das Gesetzmäßige der Vorgänge erarbeitet. So erfolgt die Verknüpfung mit einem größeren Zusammenhang und kann eine wissenschaftliche Theorie oder ein Modell entwickelt werden. Wenn diese denkerische Tätigkeit zu einem Abschluss gekommen ist, schließt sich der nächste Dreischritt an.

Zwischen den Epochen eines Faches liegt meistens ein längerer Zeitraum. Diese Pause hat eine ähnliche Funktion wie die o.e. Nacht zwischen den Unterrichtstagen. Das in einer Epoche Gelerntekann ins Unbewusste hinabsinken, um dann beim "Wieder-Holen" zu Beginn der nächsten Epoche eines Faches in einer weiterentwickelten Qualität neu aufgegriffen zu werden.

Die Absicht des Epochenunterrichts besteht darin, den SchülerInnen das Bewusstsein zu vermitteln, am Ende einer Epoche etwas erreicht zu haben. Diese Unterrichtsweise bietet dazu die Grundlage, indem sie das Interesse der SchülerInnen auf ein Fach konzentriert, sie aktiviert und den Unterrichtsstoff in einem geschlossenen, anschaulichen Rahmen  präsentiert.

D. Sz./H.G.H.

1) Rudolf Steiner (1921): Menschenkenntnis und Unterrichtsgestaltung. Rudolf Steiner Taschenbücher aus dem Gesamtwerk (TB 657), S. 42ff

Formenzeichnen

Mit dem Formenzeichnen hat Rudolf Steiner,ähnlich der Eurythmie,ein ganz neues Unterrichtsfach für die Waldorfschule entwickelt .Eigenständiges Fach ist es in erster Linie in den Klassen eins bis vier.Im Formenzeichnen begegnet das Kind in künstlerischer Weise der Formenwelt. Es ist also nicht gemeint , dass ich Gegenstände in ihren Umrissen darstelle, denn vielmehr soll die Spur der Bewegung angefasst und erlebt werden. Die Gerade und die Gebogene, die Urgestalten aller Formen sind, bilden den Beginn und somit auch die Urelemente des Formenzeichnens.

Das Fach regt zu einer innerlichen, seelischen Art der Formpflege und Gestaltung in uns Menschen an und versucht dabei Vorstellungskräfte und Raumwahrnehmung zu aktivieren. Die erwähnten Grundformen finden sich überall: in der Natur, im menschlichen Körper und nicht zuletzt auch in der Kunst. Die Formen der äußeren Dinge, die in der Welt erlebt werden, können so erfasst und ergriffen werden. Es kommt zu einem Form-Erleben.

In den ersten drei Klassen ist es neben der Erfahrung von Form und Bewegung auch als Vorbereitung auf das Schreiben zu betrachten. Im Formenzeichnen wechseln sich eckige, spitze und runde, geschwungene Formen ab. In den Klassen 4 bis 6 geht das Formenzeichnen dann von Ornamenten über zur Freihendgeometrie.

So erlernt der Erstklässler das Innere ,Seelenhafte der Dinge kennen und in dieses einzudringen. Das Kind erwirbt dadurch die Fähigkeit, seelisch Erlebtes in eine Bildgestalt umzuwandeln. Gleichzeitig kommt es durch beispielsweise das Laufen verschiedener Formen, dem Nachspuren in der Luft, dem Legen von Formen dem Bewegungsdrang des Kindes entgegen. Dadurch besitzt das Formenzeichnen auch einen therapeutischen Aspekt auf dem Weg zum Lernen und wirkt dadurch harmonisierend und stärkend.

In einer fest geronnenen Form lässt sich durch diese Art der Betrachtung immer noch der Nachklang der Gestaltung, ja der innewohnenden Bewegung finden und erkennen. Sozusagen arbeitet also das Formenzeichnen an dem Ursprünglichsten selbst.

Sprachlehre

in Bearbeitung

Rechnen

Unsere Welt ist voller Mathematik: das Tischdecken für die Familie, das Einkaufen oder das Kuchenbacken wird leicht zum Rechenerlebnis für unsere Kinder.

In den Klassenstufen 1-3 werden die Kinder über Bewegung und Rhythmus an die Welt der Zahlen herangeführt. Damit wird zunächst ein innerer, qualitativer Zahlenraum geschaffen, um später mit quantitativen Zahlenvorstellungen frei umgehen zu können. In rhythmischen Schrittfolgen - vielleicht hilft ein besonderer Sprung, ein Klatschen - zählen die Kinder oder sprechen die Einmaleins-Reihen.

Das Rechnen an der Waldorfschule geschieht zunächst aus einer Einheit heraus. In Rechengeschichten wird das Prinzip des Verteilens und Verschenkens greifbar gemacht: Ein Bauer hatte einen großen Käse gemacht und ihn in 10 Teile geschnitten: Drei Stücke schenkt er den Nachbarskindern, zwei möchte er für sich und die Bäuerin aufheben. Wie viele Käsestücke kann er auf dem Markt verkaufen?

Die Rechenwege werden nicht fertig präsentiert, sondern sollen mit den Kindern entwickelt und gefunden werden. Der Rechenunterricht ist entdeckender Unterricht, der zu großer Eigenaktivität anregt. Die vier Grundrechenarten werden dabei stets nebeneinander gepflegt.

In den Klassenstufen 4 und 5 geschieht mit dem Erreichen des neunten Lebensjahres ein entscheidender Umschwung: Das ungebrochene Verhältnis des Kindes gegenüber der Umwelt wird distanzierter und die frühere Harmonie zwischen Umwelt und Seelenwelt geht buchstäblich „in die Brüche". Dieser Wandlung im seelischen Erleben folgt auch der Lehrplan im Rechenunterricht, wenn er im 4. Schuljahr das Kind an den Umgang mit gebrochenen Zahlen heranführt. Daran schließt sich das Rechnen mit Dezimalbrüchen an. Nach dem Überschreiten einer „Teilbarkeitsgrenze" können die Schüler das Rechnen mit Dezimalzahlen im 5. Schuljahr entdecken.

Ebenfalls in der 5. Klasse wird das Formenzeichnen in ein elementares „Geometrisieren“ überführt, wobei mit den linearen Urpolaritäten Kreis und Gerade begonnen wird. Damit die Schüler diese beiden geometrischen Formen möglichst intensiv erleben, soll vorerst ohne Zirkel und Lineal, also aus freier Hand, gezeichnet werden.

Nachdem die mathematischen Begriffe über das Erleben in Bildern im Seelischen verankert wurden, kann das Erworbene etwa um das 12. Lebensjahr zunehmend mithilfe der Logik durchdrungen und geordnet werden. In den Klassenstufen 6 - 8 wird dieser Schritt deutlich: von der Handhabung des Rechnens führt er zur Betrachtung von Rechenprozessen und zum Erkennen von allgemeingültigen Zusammenhängen. Rechnen wird als Willenserziehung im Bereich des Denkens betrachtet. Zunehmend differenzierte Aufgabenstellungen sowie das Rechnen mit praktischen Aufgaben bieten hierzu ein reiches Übungs- und Betätigungsfeld für die Schüler.

In der Geometrie entwickelt sich die ästhetische Qualität des Zeichnens nun nicht mehr aus der Dynamik, sondern aus der Ordnung. Hierzu erlernen die Schüler den sachgemäßen Gebrauch von Zirkel, Lineal und Zeichendreieck. Was in der ersten Zirkelgeometrie staunend erlebt wird, soll in der 7. und 8. Klasse gedanklich durchdrungen werden. Die geometrischen Gesetze werden gesucht und formuliert.

Pflanzen- und Tierkunde

Tierkunde

Bereits in den Märchen, Fabeln und sinnigen Geschichten der ersten Schuljahre begegnen den Kindern immer wieder Tiere in bildhaften Darstellungen.

Nach dem 9. Lebensjahr, dem sogenannten „Rubikon“, verändert sich die Haltung der Schülerinnen und Schüler und sie betrachten in der 4. /5. Klasse ihre Umwelt zunehmend aus einer distanzierteren Warte. 

Es entwickelt sich einerseits das Ich-Bewusstsein und andererseits werden sie im Seelischen innerlicher und unabhängiger. Diese von den Viert- und Fünftklässlern erlangte Objektivität ermöglicht den Zugang zur Menschen- und Tierkunde; nun können sie betrachten, was ihnen gegenübertritt.

Die Tierwelt wird dabei immer in der Weise dargestellt, dass man Besonderheiten des Lebewesens in Beziehung zum Menschen verdeutlicht.

Exemplarisch charakterisiert man einzelne Tiere in ihrer besonderen Ausprägung und vergleicht sie im Laufe der Epoche mit den entsprechenden menschlichen Ausformungen, so z.B.:

Tintenfisch (Kopf als dominanter Teil)

Maus (Rumpf)

Kuh (Stoffwechsel-Gliedmaßensystem)

Löwe (Rhythmisches System)

Adler (Kopf/Sinnessystem).

Ziel dieser Vorgehensweise ist es, ein Gefühl dafür zu entwickeln, dass sich im Menschen alle Qualitäten der Tierwelt harmonisch vereinen.

Physik in der Klassenlehrerzeit

"Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis". Dieses Wort von Goethe führt ganz wunderbar in den Physikunterricht der Klassenlehrerzeit ein. Alle Phänomene der Natur sind Ausdruck größter Weisheit. Wir können diese Weisheit in allem, was uns im Alltag umgibt, mit unserer Gedankenkraft erfassen. Wir lernen dann das Staunen, besonders gegenüber dem "Nichtsensationellen“, Alltäglichen.

In den Kindern der 6. Klasse erwacht das erste feine Urteilen zusammen mit der Fähigkeit, kausal zu denken. Bis dahin war die Seele noch eingebettet in die Sinngebung durch die geschützte Kindeswelt und jede Deutung der Sinneswelt, die vom Lehrer kam, wurde fraglos hingenommen. Jetzt spricht das eigene Innere mehr und mehr. Die Begegnung mit der Außenwelt ruft zunehmend eigenes Denken und Urteilen hervor. Die nun erwachten Gedankenkräfte dürfen sich noch entlang des Erlebens von Phänomenen ordnend betätigen.

Der erste Physikunterricht umfasst außer der Mechanik alle Gebiete: Akustik, Optik, Wärmelehre, Magnetismus und Elektrizität. Die Mechanik kommt in der 7. Klasse hinzu. Der Mensch führt in der Kunst die physikalischen Phänomene mit dem Seelisch-Geistigen zu einer höheren Ganzheit zusammen. Ausgehend von dieser Ganzheit werden die Schüler an diese Phänomene herangeführt.

Das Erleben der Versuche ist für die Schüler anstrengender als man vermuten würde. Es fordert den ganzen Menschen und wühlt ihn auf. Wer schon einmal erfuhr, dass sich aktiv Erlebtes im "Überschlafen“ verwandelt, kann nachvollziehen, dass das nun ganz eigen gewordene Experiment-Erlebnis die Schüler empfangsbereit gemacht hat für sinngebende Erläuterungen, ja diese geradezu fordert.

Nun lassen sich die physikalischen Gesetze direkt aus dem Erlebten ableiten und formulieren. Daran schließt sich die Schilderung aller Lebensgebiete an, in denen das betrachtete physikalische Phänomen zu beobachten ist oder vom Menschen angewandt wird.

Aber auch Parallelen zum Seelisch-Geistigen des Menschen werden gezogen. Nachdem (in der Wärmelehre) die Beweglichkeit und Aktivität erzeugende Wärme im Gegensatz zur verdichtenden, lähmenden Kälte in Versuchen erlebt wurde, geht man dazu über, des Menschen innere Unabhängigkeit von der Natur anzuschauen - seine Seelenwärme oder Seelenkälte mit ihren Wirkungen auf seine Mitmenschen.

Physik in den Klassen 9 bis 12

Die Physik-Epoche der 9. Klasse steht unter dem Motto „Kommunikation und Mobilität“. Wir erarbeiten uns die Funktionsweise von Mikrofon, Lautsprecher und Telefon und gelangen über die Digitaltechnik bis zum Smartphone. Danach erkunden wir die Eigenschaften von Wasser und Treibstoffen und vollziehen die historische Entwicklung von Maschinen und Kraftfahrzeugen bis zum Raketentriebwerk nach. Abschließend werden die Chancen, Risiken und Zukunftsvisionen diskutiert, die sich aus der Nutzung dieser Technik ergeben.

In der 10. Klasse geht es darum, die Grundlagen der Mechanik zu erarbeiten, aus denen sich unsere Technik entwickelt hat. In zahlreichen Schülerversuchen nähern wir uns den vielfältigen Auswirkungen von Kräften, z.B. bei der Statik von Brücken. Die Erleichterung durch einfache Maschinen wird genau unter die Lupe genommen. In der Dynamik erarbeiten wir die Fallgesetze und analysieren komplexe Bewegungsabläufe. Die Begriffe Energieumwandlung und Energieerhaltung werden eingeführt. Das systematische Vorgehen kostet Kraft und Zeit, aber nicht die Lösung alleine, sondern der Weg dorthin stärken Verständnis und Selbstvertrauen.

In der 11. Klasse wird dann der Struktur der Materie weiter auf den Grund gegangen. In zahlreichen Versuchen nähern wir uns dem Phänomen des elektrischen Stroms und untersuchen die Wechselwirkungen elektrischer und magnetischer Felder. Dies führt uns über die Radioaktivität zur Atomphysik. Hier liegt es auf der Hand, Vor- und Nachteile der Stromerzeugung aus Kernkraft und regenerativen Quellen gegenüberzustellen. Auch die Herausforderungen bei der Weiterentwicklung unserer Stromnetze und Speichermöglichkeiten werden thematisiert.

Die 12. Klasse steht dann im Zeichen der Optik. Wir behandeln die Phänomene Reflektion, Brechung, Beugung und Interferenz und vertiefen so das Verständnis für Licht, Schatten und Farben. Darauf aufbauend erarbeiten wir die Funktionsweise unsere Auges und der optischen Geräte. Wir bauen ein einfaches Spektrometer und erschließen uns den dualen Charakter des Lichts. Die Epoche schließt mit den unserem Alltag zunächst widersprechenden Aussagen der Quantenphysik. Wie gehen wir mit den sich daraus ergebenden Problemen bei der Modell- und Theoriebildung um? Die Schüler erfahren, was bisher erreicht wurde, und wo wir Sie brauchen.

Einen Überblick zur Vernetzung des naturwissenschaftlichen Unterrichts untereinander und mit den Praktikas in der Oberstufe finden Sie  "hier"  .

Chemie in den Klassen 9 bis 12

Die Chemieepoche der 9. Klasse steht unter dem Motto „Feuer, Wärme, Wandlung“. Es gilt, die Neugier und Wissbegierde der Schüler anzuregen, z.B. mit den Faradayschen Kerzenversuchen. Wir untersuchen aus dem Alltag bekannte Stoffe und Vorgänge und fragen uns, welche chemische Reaktionen dahinter stecken: die Holzverbrennung und -vergasung, die alkoholische Gärung und Essigbildung, die Herstellung von Seife und Duftstoffen. Hier gilt es, die Phänomene mit allen Sinnen zu erleben und exakt zu beschreiben, um sie später genauer zu ergründen.

In der 10. Klasse geht es darum, an Hand ausgewählter Stoffgruppen die Grundlagen der Wandlung, der chemischen Reaktionen zu erarbeiten: Die Schüler lernen, möglichste reine Kristalle herzustellen. Das Wasser als eine ganz besondere Flüssigkeit mit einzigartigen Eigenschaften, sowie das Tripel Säure – Salz – Lauge stehen im Zentrum dieser Epoche. Der Ionenbegriff wird an Hand von Messgrößen wie pH-Wert und Leitfähigkeit direkt am Phänomen eingeführt. Die Gesetzmäßigkeiten werden systematisch erforscht und mit Hilfe der Formelschrift dargestellt.

In der 11. Klasse wird dann der Struktur der Materie weiter auf den Grund gegangen. In zahlreichen Versuchen nähern wir uns den Elementen, aus dem wir und unsere Umwelt gemacht sind: Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Schwefel und Phosphor und andere Elemente bilden mannigfaltige Verbindungen. Sie unterliegen Kreisläufen, die inzwischen durch menschliche Tätigkeit massiv beeinflusst werden. Die Bedeutung und Eigenschaften der Metalle und Halogene werden gezeigt, die Geschichte des Periodensystems und der Atommodelle ist nachzuvollziehen. Es gilt das Bedürfnis der Schüler zu stillen, das Wesen der Materie zu ergründen.

Die 12. Klasse steht dann ganz im Zeichen der organischen Chemie. Beginnend bei den einfachsten Kohlenstoffverbindungen wird der Umgang mit der Formelschrift und das Verständnis der chemischen Bindungen und Reaktionen vertieft. Nach Einblicken in die Petrochemie liegt der Schwerpunkt auf den Bausteinen des Lebendigen: Fett, Eiweiß und Kohlenhydrate sowie davon abgeleitete, hochspezifische Verbindungen wie Enzyme, Chlorophyll, Hämoglobin und die DNS. Die Epoche schließt mit einer kritischen Auseinandersetzung der vom Menschen erzeugten Kunst- und Schadstoffe. Die Schüler erfahren, wo wir heute stehen und welche Fragen noch offen sind.

Einen Überblick zur Vernetzung des naturwissenschaftlichen Unterrichts untereinander und mit den Praktikas in der Oberstufe finden Sie  "hier"  .  

Umweltlabor

Zur Vertiefung der naturwissenschaftlichen interdisziplinären Kompetenz wird seit dem Schuljahr 2014/15 erstmals ein zusätzliches Praktikum in der 10. Klasse angeboten. Jeweils mit einem Drittel der Klasse beschäftigen wir uns in neun Doppelstunden über drei Wochen mit den Schutzgütern Boden, Wasser und Luft. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der praktischen Ausführung anerkannter Methoden, an die sich jeweils eine Betrachtung, Messbereiche und möglichen Fehlerquellen anschließen. Im Einzelnen sind folgende Arbeitsschritte zu meistern:

  • ordnungsgemäße Entnahme von Wasser- und Bodenproben,

  • richtige Lagerung und Aufbereitung der Proben im Labor,

  • Untersuchung der chemisch-physikalischen Parameter,

  • Durchführung von Analysen auf Nährstoffe und Schadstoffe,

  • Auswertung der Ergebnisse im Hinblick auf geltende Richt- und Grenzwerte,

  • Erstellung eines Berichts zur Beurteilung der Befunde

Durch die eigene Leistung, die Zusammenarbeit innerhalb einer Gruppe und der Gruppen untereinander werden Messwerte gewonnen, die eine umfassende Beurteilung der Situation ermöglichen. Hierbei sind vor allem Genauigkeit und Geduld gefordert. Denn gerade eine Protokollführung, die Missverständnisse ausschließt, will gelernt sein. Und wenn die Parallelmessungen deutlich voneinander abweichen, muss eben nachgemessen werden.

Die Schüler lernen z.B. die Trinkwasserqualität in ihrer jeweiligen Gemeinde zu beurteilen. Oder sie vergleichen die Bedingungen für das Pflanzenwachstum im Schulgarten mit denen einer Weide oder eines Waldes. Dabei wird die Erfahrung für plausible Messwerte geschult und mithin das Bewusstsein für die Aussagekraft wissenschaftlicher Gutachten geschärft – eine Fähigkeit, die in unserer Zeit immer wichtiger wird.

Einen Überblick zur Vernetzung des naturwissenschaftlichen Unterrichts untereinander und mit den Praktikas in der Oberstufe finden Sie  "hier"  .

Mathematik in den Klassen 9 bis 12

Der Unterricht in der Oberstufe wendet sich in zunehmendem Maße an das erwachende Vermögen der Jugendlichen, die Erscheinungen in der Welt zu analysieren und ein eigenes Urteilsvermögen zu entwickeln. Gerade für Schülerinnen und Schüler in der Pubertät spielt die Entwicklung der intellektuellen Fähigkeiten, des begrifflich-abstrakten Denkens und der Urteilsfähigkeit eine besondere Rolle. So stellt die Mathematik für die Jugendlichen der Oberstufe ein ausgesprochen gutes Übungsfeld des Denkens dar.

Es wird ein Unterricht angestrebt, in dem der Unterrichtsstoff nicht fertig präsentiert, sondern schrittweise mit den Schülern entwickelt wird. Bei der Herleitung beispielsweise von mathematischen Lehrsätzen sind die Lernenden selbst engagiert und werden so gleichermaßen im logischen Denken und in schöpferischer Phantasie geschult.

Die Jugendlichen werden auf diese Weise  altersgemäß und angstfrei an alle wichtigen Themenbereiche der Mathematik herangeführt. Dazu tritt je nach Jahrgangsstufe zunehmend auch  die gezielte Vorbereitung auf die Schulabschlüsse. An unserer Schule können alle üblichen Schulabschlüsse erworben werden.

Klasse 9

Quadratische Gleichungen,  Lineare Gleichungen mit zwei und drei Variablen, Strahlensätze; Einführung in die Kombinatorik, Anfangsgründe der Wahrscheinlichkeitsrechnung, Zahlensysteme, einfache zahlentheoretische Fragen, ausgewählte Kurven als Ortslinien.

Die Kombinatorik ermöglicht als für die Schüler bisher unbekanntes  Gebiet der Mathematik einen "neuen Einstig“ ohne spezifische Voraussetzungen aus der Klassenlehrerzeit.  Es ergeben sich vielfältige Übungsmöglichkeiten für formales, logisches ebenso wie für kreatives Denken.

Die Weiterführung der Gleichungslehre bietet durch ihre überschaubaren Lösungsgänge ein gutes Übungsfeld für die wachsenden formalen Fähigkeiten.

In der Geometrie führt der zeichnerische- konstruktive Zugang zu den Kegelschnittlinien  durch eine Vielzahl an Konstruktionsarten zu bewegliche Vorstellungen, die aber gleichzeitig durch eine strenge Gesetzmäßigkeit geführt werden.

Klasse 10

Potenzen und Logarithmen, ebene Trigonometrie, Körperberechnungen, Zahlenfolgen und Reihen, Vertiefung des Begriffs des Irrationalen.

Der Schüler soll "von der Kenntnis zur Erkenntnis" geführt werden. (R. Steiner).

Dafür bietet z.B. die Trigonometrie ein breites Übungsfeld.  Neben den abstrakten mathematischen Gesetzmäßigkeiten kann hier die praktische Anwendung mathematischer Berechnungen erlebbar werden. Dies wird gefördert durch Querverbindungen zur Physik (Kosinussatz in der Statik; auch: Parabel beim Wurf) sowie Anwendungen im Feldmesspraktikum. Klasse 11

Analytische Geometrie, Vektorgeometrie, projektive Geometrie,  Grenzwerte bei unendlichen Zahlenfolgen, Finanzmathematik

Die bisher getrennt behandelten Gebiete der Geometrie und Algebra  werden  in der analytischen Geometrie zusammengeführt. Der in der Physikepoche der 10. Klasse eingeführte Vektorbegriff wird  formal weiterentwickelt zur vektoriellen analytischen Geometrie.

Eine neue, die Anschaulichkeit überschreitende Stufe des Denkens und wird bei Grenzwertbetrachtungen z.B. bei der Summe einer unendlichen Reihe erreicht.  Anwendungen in der Finanzmathematik und in physikalischen Berechnungen z.B. zur "Halbwertszeit" schaffen einen Bezug zur Praxis und damit auch zu aktuellen Fragen.

Klasse 12

 Wiederholung und Weiterführung der Trigonometrie, der analytischen Geometrie (mit Körperberechnung) und der Wahrscheinlichkeitsrechnung.

 Einführung in die Analysis und Differentialrechnung (Funktionsbegriff, Grenzwerte, Ableitungen, Untersuchung ganz rationaler Funktionen und ihrer Schaubilder).

Abitur-Vorbereitung: Integralrechnung, gebrochen rationale und exponentielle Funktionen, Fortführung der Vektorgeometrie und Stochastik.

Die Schüler werden je nach angestrebtem Schulabschluss in leistungsdifferenzierten Gruppen unterrichtet und auf die jeweiligen Prüfungsanforderungen vorbereitet. Eine Ausnahme bildet der Epochenunterricht, in dem alle Schüler der Klasse gemeinsam ausgewählte mathematische Themen erarbeiten.

Biologie in den Klassen 9 bis 12

Mit dem Beginn der Oberstufe in der 9. Klasse wird der humanbiologische Schwerpunkt der 7. und 8. Klasse aufgegriffen und die Sinnes- und Nervenorganisation des Menschen in den Vordergrund gestellt. Dies ermöglicht, durch einfache Versuche und Beobachtungen das Interesse der Schülerinnen und Schüler zur eigenständigen Auseinandersetzung mit ihrer Sinneswahrnehmung anzuregen.

In der 10. Klasse folgt eine anatomische und physiologische Betrachtung der inneren Organsysteme und Organfunktionen. Schwerpunkte bilden eine Betrachtung des Herz-Kreislauf-Systems, des Immunsystems und des Stoffwechsels. Für den Lehrer ist die Kenntnis der funktionellen Dreigliederung des menschlichen Organismus, wie von R. Steiner in seinen Lehrerkursen dargestellt, von großer Bedeutung.

Die Biologie der 11. Klasse eröffnet mit der Zellenlehre, Genetik und den medizinischen Anwendungsmöglichkeiten ein neues Themengebiet. Die Epoche wird ergänzt durch ein Mikroskopiepraktikum, in dem die Schüler praktisch die Welt des Mikrokosmos entdecken.

Die 12. Klasse stellt das Motiv <em>Entwicklung</em> ins Zentrum der beiden Biologieepochen. Themen sind: Embryologie, Schwangerschaft, stammesgeschichtliche Betrachtung der Entwicklung des Menschen, also eine Fossil- und Kulturkunde des Menschen, die zur grundlegenden Reflexion der Fragen nach dem Ursprung und der Zukunft einlädt. Ergänzt werden die zwei Epochen durch wöchentlich zwei Fachstunden Biologie für die Gruppe von Schülern, die das staatliche Abschlussziel Abitur anstreben. Hier erfolgt eine gezielte Vorbereitung auf die Abiturprüfung, die sich in den Grund- und Leistungskursen der 13. Klasse fortsetzt. 

Einen Überblick zur Vernetzung des naturwissenschaftlichen Unterrichts untereinander und mit den Praktikas in der Oberstufe finden Sie  "hier"  .

Geschichte

In wohl keinem anderen Fach wird so deutlich, dass Unterrichtsinhalte einer permanenten Überprüfung bedürfen, wie im Fach Geschichte. Zwar ergeben sich die Lerninhalte nach wie vor aus den Lehrplanvorschlägen Rudolf Steiners, aber diese stammen aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts und berücksichtigen nicht die nachfolgende historische Wirklichkeit, die u.a. durch  Nationalsozialismus, Kalten Krieg, europäischen Einigungsprozess und Globalisierung bestimmt wurde und wird. Für die Verteilung des Unterrichtsstoffs auf die einzelnen Klassenstufen muss dies  die Verlagerung einiger geschichtlicher Themenfelder auf  frühere Jahrgangsstufen zur Folge haben, was mit einer am Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen sich orientierenden Revision der methodischen Vermittlung der betroffenen  Inhalte verbunden ist.

Erste historische Eindrücke können die Kinder schon in der 4. Klasse gewinnen, wenn ihnen im Rahmen der Heimatkunde durch bildhafte Schilderungen die frühere wirtschaftliche Entwicklung ihrer Heimatregion nahegebracht wird.

Generell sollen die SchülerInnen der Mittelstufe ein Bild davon erhalten, dass Geschichte Entwicklung und Fortschritt bedeutet, deren Verlauf sie einmal nach eigenen Möglichkeiten mitgestalten können. In der 5. und 6. Klasse steht methodisch das bildhafte Unterrichten im Vordergrund und thematisch könnte sich der Bogen von den frühen Hochkulturen bis zur Renaissance spannen. In der 7. Klasse würde dann der Geschichtsunterricht bei den europäischen Entdeckern einsetzen und in der 8. Klasse bis zum Ende des Kalten Krieges führen und schließlich mit dem Thema "Globalisierung" enden. Beim Unterrichten in den letztgenannten Jahrgangsstufen ist dem wachsenden Bedürfnis der Jugendlichen nach  Erkennen und Verstehen kausaler Zusammenhänge entsprechend Raum zu geben.

Der Geschichtsunterricht ist in der Oberstufe nicht streng chronologisch geordnet. In der 9. Klasse wird  die Neuere Geschichte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, in der 10. Klasse die Antike und in der 11. Klasse  das Mittelalter wiederholt. In der 12. Klasse stehen dann universalgeschichtliche Aspekte vor allem des 20. Jahrhunderts in ihren geistigen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhängen im Mittelpunkt der Unterrichtsarbeit. Bei der Beschäftigung mir den jeweiligen Themenfeldern  muss die weiterentwickelte Fähigkeit der Jugendlichen, historische Zusammenhänge verstehend zu begreifen,  als Grundlage genommen werden,  eine angemessene Urteilskraft herauszubilden.

Der Grundgedanke des Geschichtsunterrichts kann wie folgt zusammengefasst werden: Die Kinder der Mittelstufe lernen, Geschichte wahrzunehmen und die Jugendlichen der Oberstufe, sie zu verstehen, damit sie als Erwachsene aus der Geschichte sich ergebende Fragen beantworten und die Gegenwart mitgestalten können.

G.Hillebrand

Johannes Tautz: Das Fach Geschichte im Aufbau des Lehrplans, in: Helmut Neuffer (Hg.): Zum Unterricht des Klassenlehrers an der Waldorfschule, Stuttgart 1997, S.576

Das Fach Deutsch in der Oberstufe

Allgemeines

Pro Klassenstufe durchlaufen die SchülerInnen je zwei Epochen im Fach Deutsch im Laufe der vier Oberstufenjahre. Daneben sieht der Stundenplan in der Regel zwei Fachstunden pro Woche in halbierten Klassen vor, um Analyse und Erstellung von Texten in schriftsprachlicher Richtigkeit einüben zu können.

Eine schullaufbahnorientierte Einteilung findet zum ersten Mal in der 11. Klasse statt. Die SchülerInnen, die die Berufsreife und danach den Sekundarabschluss I anstreben, bilden die meist kleinere Gruppe, die sich der Festigung erworbener Fertigkeiten und der Anwendung derselben z. B. im Bewerbungstraining widmet. Wer die Allgemeine Hochschulreife in der 13. Klasse anstrebt, besucht die Abiturgruppe, die Textanalyse- und Erörterungsverfahren an literarischen Beispielen einübt, wie sie in der Reifeprüfung beherrscht werden sollen.

 Die Epochen im Einzelnen:

9. Klasse

 In der Humorepoche geht es um das Verständnis menschlicher Gefühle zwischen Trauer und Freude. Einzeltexte oder die Lektüre eines Dramas wie Carl Zuckmayers „Der Hauptmann von Köpenick“ verschaffen Zugang zu den verschiedenen Aspekten des Komischen und Tragischen. Die literarische Beschäftigung mit den Stimmungen zwischen Lebenslust und Melancholie schafft Distanz zum eigenen Erleben und kann eben damit zu einem besseren Verständnis eigener und fremder Gefühlswelten beitragen.

"Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt." Joachim Ringelnatz

In der Klassikepoche beschäftigen sich die SchülerInnen vorzugsweise mit Werken der Weimarer Klassik wie z. B. Goethes Drama „Egmont“ oder Schillers Erzählung „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“. Diese Lektüren konfrontieren mit Fragen des menschlichen Schicksals, der Suche nach Idealen und der Übernahme von Verantwortung. Methodisch geht es darum, mit eigenen Worten Gelesenes resümieren zu können. Das Charakterisieren von Figuren bildet einen weiteren Schwerpunkt. Leseübungen führen das Training einer grundlegenden Fertigkeit fort. Das Bekanntwerden mit Interpretationsverfahren soll neue Herangehensweisen an Texte ermöglichen.

"… das bloß Abscheuliche hat nichts Unterrichtendes für den Leser ..." Friedrich Schiller, Verbrecher

10. Klasse

 In der Nibelungenepoche werden die 39 Aventüren des hochmittelalterlichen Epos’ in einer neuhochdeutschen Übertragung gelesen und im Hinblick auf sprachlichen und stofflichen Wandel betrachtet. Die unterschiedliche, auch missbräuchliche Rezeption eines literarischen Werkes bildet einen neuen Aspekt in der Beschäftigung mit Literatur und fordert zur Reflexion heraus.

"Uns ist in alten maeren wunders vil geseit…" beginnt der anonyme Dichter des Nibelungenliedes.

In der Poetikepoche richtet sich der Blick auf die Korrespondenz formaler sprachlicher Mittel (Reim, Metrik, Lautgestalt, Bildlichkeit usw.) mit der inhaltlichen Aussage von Texten. In einem individuellen Gedichtreferat üben sich die SchülerInnen in eigenverantwortlicher Auswahl, Analyse und Interpretation sowie Präsentation.

"Gedichte sind gemalte Fensterscheiben./Sieht man vom Markt in die Kirche hinein/, da ist alles dunkel und düster/…Kommt aber nur einmal herein …" Johann Wolfgang Goethe

In der Literaturepoche gibt es die Gelegenheit zur Lektüre eines modernen Romans. Häufig gelesen wird Alfred Anderschs „Sansibar oder der letzte Grund“. Diese Lektüre thematisiert die Bedeutung von Kunst und Freiheit für Menschen und erlaubt in besonderer Weise den Wechsel von Perspektiven. Nebenbei erfährt man viel über andere Lebensbedingungen in anderen Zeiten.

"Ob der Glaube auch splittert in ihrer Hand/ und ob sie das Einhorn des Bösen durchrennt/…

sie zerreißen nicht …" aus der Widmung von Dylan Thomas bei Andersch

11. Klasse

 Wolfram von Eschenbachs Epos „Parzival“ in einer Prosaübertragung gehört zu den Standardlektüren an Waldorfschulen. Ziel ist das Verständnis des Entwicklungsweges des Protagonisten vom weltfremden Tölpel zum bewussten und empathiefähigen Mitmenschen. Das Entschlüsseln sprachlicher Bilder im Rahmen des Unterrichtsgesprächs, das nun immer breiteren Raum einnimmt, ist ein wesentliches Anliegen dieser Epoche.

"Oheim, was wirret dir? ..." die erlösende, empathische Frage Parzivals…Wolfram von Eschenbach

In der Literaturepoche steht die Lektüre eines modernen oder zeitgenössischen Romans auf dem Programm. Oft gelesen wird Max Frischs „Homo faber“, der die Frage nach bewusster und unbewusster menschlicher Verstrickung in Schuld aufgreift. Bezüge zum Gesamtwerk eines Autors oder zur Sicht anderer auf denselben Themenkomplex rücken nun ins Blickfeld der SchülerInnen. Die reflektierte Wahrnehmung einer Verfilmung kann den Blick für mediale Gestaltungsmöglichkeiten und deren Wirkung schärfen.

- aber vor allem: standhalten dem Licht, der Freude (wie unser Kind, als es sang) im Wissen, dass ich erlösche im Licht über Ginster, Asphalt und Meer, standhalten der Zeit, beziehungsweise Ewigkeit im Augenblick.

"Ewig sein: gewesen sein …" Max Frisch, Homo faber

12. Klasse

 Goethes Faust-Tragödie erstem und nach Möglichkeit zweitem Teil ist eine der letzten Epochen im Fach Deutsch gewidmet. Erschließung von Teilpassagen in wechselweise individuellem oder gemeinsamem szenischen Lesen in kleinen Gruppen oder im Plenum gehören ebenso dazu wie gestaltendes oder reflektierendes Interpretieren. Am Ende muss ertragen werden können, dass die Fragen zahlreicher sind als die Antworten.

"Komm! Hebe dich zu höhern Sphären!/ Wenn er dich ahnet, folgt er nach…" Mater Gloriosa zu Gretchen

… Johann Wolfgang Goethe, Faust II

Die letzte Epoche soll einen Überblick anhand literarischer Beispiele von den Anfängen der deutschsprachigen Literatur bis in unsere Gegenwart bieten. Eine Leitfrage wie die nach dem Menschenbild im Spiegel des Zeitgeistwandels kann helfen, eigene Standpunkte zu verorten bzw. neu zu justieren. Verfahren zur Eigenkorrektur und zum stilistischen Feinschliff selbstverfasster Texte werden zwecks fortgesetzten Gebrauchs im weiteren Leben verfeinert.

"Auf einmal und ganz unvermittelt/ Bleibt man stehn. /Etwas ist vergangen.../ Es wäre Zeit gewesen,/ zu hören und zu sehn./ Ich wusste, ungenau,/ und hatte viel zu tun."

Elisabeth Borchers, Nachträglicher Abschied

Dorothee Weiland

Kunstgeschichte in den Klassen 9 bis 12

Das Fach Kunstgeschichte wird in den Klassen 9, 11, und 12 als ca. dreiwöchige Epoche unterrichtet und kann für das Abiturjahr in Klasse 13 von Schülerinnen und Schülern im Fachunterricht belegt werden, der wöchentlich vierstündig gehalten wird. In der 10. Klasse tritt als künstlerische Epoche an Stelle der bildenden Kunst die Poetik, die vom Fachbereich Deutsch abgedeckt ist.

Nachdem Schülerinnen und Schüler in Unter- und Mittelstufe bereits in verschiedensten Bereichen künstlerisch gearbeitet haben, kommen sie in der 9. Klasse erstmals mit Kunstgeschichte, also theoretischen Hintergründen, in Kontakt. Thematisch soll hier ein Überblick von den Anfängen der Kunst bis zum Beginn der Renaissance gezogen werden. Bei der großen inhaltlichen Weite müssen hierbei Schwerpunkte gesetzt werden. So beginnt der Überblick mit Höhlenmalereien und plastischen Werken aus der Steinzeit, bevor sich Beispiele aus den frühen Hochkulturen anschließen und ein ausführlicherer Blick auf die Kunst der alten Griechen in ihren Stilstufen Archaik, Klassik, Hellenismus erfolgt. Das Mittelalter wird zunächst ausgespart, um direkt zur Renaissance überzugehen – der Rückbesinnung auf die Antike in Stil und Geistesgeschichte. Als Untermauerung der stilistischen Entwicklungen ist es zugleich wichtig, Vorstellungen zu erhalten von der Motivation, die Menschen zu unterschiedlichen Zeiten zu künstlerischem Tun bewegt, und von einem Wandel im Menschenbild generell, das seinen Ausdruck auch in der Kunst findet.

In der 11. Klasse stehen Malerei des 18./19. Jahrhunderts und der kunsttheoretische Hintergrund der Zeit im Fokus. Für die Malerei ist dabei von besonderem Interesse, dass dies die Zeit ist, in der durch politische, technische und nicht zuletzt künstlerische Entwicklungen der Grundstein für eine moderne, abstrakte und ungegenständliche Kunst gelegt wird, indem der ‚Zweck‘ einer möglichst naturgetreuen Wiedergabe des Dargestellten mehr und mehr zurücktritt und einer kritischen Auseinandersetzung, einem Festhalten vorübergehender Stimmungen/Impressionen oder drastischem Selbstausdruck im Expressionismus weicht, der sich bereits sehr weit von einer realistischen Abbildung entfernt hat.

Die Kunsttheorie der Zeit ist von besonderem Interesse, da hier Kunstgeschichte und Archäologie als moderne Wissenschaften begründet werden, indem erstmals – z. B. in den Schriften Johann Joachim Winckelmanns – eine erforschende Auseinandersetzung mit Kunst stattfindet. Kleine Textausschnitte sollen hier Einblicke gewähren und zu eigenständiger Auseinandersetzung mit einzelnen Kunstwerken und den theoretischen Schriften selbst anregen.

Die Kunstgeschichtsepoche in Klasse 12 ist ganz der Architektur gewidmet. Im Mittelpunkt steht hierbei das Mittelalter in Europa und das Heraufziehen der Renaissance von Italien aus bis hin zum Barock. Der zunächst fremde Umgang mit Architektur in der Erfassung des Ganzen und seiner Glieder sowie eine systematische Beschreibung werden geübt, Stilmerkmale erarbeitet. Auch hier wird die geistesgeschichtliche Entwicklung als Hintergrund einbezogen, um stilistische Entwicklungen besser verstehen zu können, und das Erwachen des wissenschaftlichen Interesses berücksichtigt. Textausschnitte aus Goethes Werk illustrieren z. B. die Wiederentdeckung der lange Zeit geschmähten Gotik zu Ende des 18. Jahrhunderts.

Der Fachunterricht in Klasse 13 knüpft an die Epoche der 11. Klasse an, setzt aber auch die Kenntnisse aus der Architekturepoche voraus. Das Fach wird als Grundkurs angeboten und endet für die Schüler/innen entweder in der Abiturhospitation oder der mündlichen Abiturprüfung. Inhaltlich wird hier der Schritt in die Malerei der klassischen Moderne getan und an Kunstwerken sowie Schriften der Zeit nachvollzogen. In der Architektur erfolgt in Fortsetzung der Epoche eine Ergänzung noch fehlender wichtiger Entwicklungen. Die in den zurückliegenden Jahren erworbenen Arbeitstechniken im Hinblick auf die Kunstgattungen werden weiter vertieft und in einem Trier-Exkurs helfen sie auch die hiesigen Monumente näher kennenzulernen.

Auf die gesamte Zeit gesehen bleibt festzuhalten, dass sich der Grad des Theoretischen mit dem Alter der Schüler/innen steigert und Methoden – z. B. Vorgehen bei einer Bildanalyse und Interpretation – allmählich verfeinert werden. Gerade die im gesamten Verlauf geübte Bildbeschreibung ist nicht Selbstzweck, sondern dient – wie auch das vereinzelte Abzeichnen – dem differenzierten ‚Sehen Lernen‘, Erkennen von Qualitäten und strukturierten Darstellen des Gesehenen. Erst so ist zu einer fundierten Auseinandersetzung mit einzelnen Werken in den unterschiedlichen Kunstgattungen (Malerei, Skulptur/Plastik und Architektur) zu gelangen.

Holger Leonhardt